Skip to main content

Wie schwer es ist, wenn man sich nicht mehr verabschieden kann?

Sehr schwer, kann ich Ihnen sagen, sehr schwer …

Ich selbst habe dieses vor einigen Jahren erlebt. Meine Eltern starben bei einem Flugzeugabsturz und ich hatte nicht mehr die Möglichkeit mich von ihnen zu verabschieden. Ich konnte und durfte sie nicht mehr anschauen, nicht mehr berühren,  ich hatte nicht die Möglichkeit es zu „be-greifen“ und wollte es nicht wahr haben. Der Tod kam plötzlich, man konnte sich weder vorbereiten, noch verabschieden. Der Schock saß tief, trotzdem musste schnell gehandelt und Entscheidungen getroffen werden. In kürzester Zeit.

Es gibt immer Situationen im Leben, die man vorher nie in Betracht gezogen hätte, niemals und es kommt immer etwas womit man nicht rechnet.

Diese Situation ist jetzt. Diesmal in Form einer Krankheit, mit der niemand von uns gerechnet hat – COVID-19 auch bekannt als „Coronavirus“.

Sie trifft uns jetzt alle. Und alle in unterschiedlicher Weise. Die ganze Welt. Jedes Land. Jede Stadt. Jedes Dorf. Jeder Mensch. Jeder auf eine andere Art und Weise. Es ist jetzt. Egal wie alt man ist. Arm oder reich. Es ist jetzt. Egal woher es kommt. Es ist jetzt da, jetzt müssen wir handeln und jetzt müssen wir Entscheidungen treffen.

Und im schlimmsten Fall können wir uns nicht mehr von unserem sterbenden Angehörigen verabschieden.

Warum ist das so?

Wenn eine Person so stark an COVID-19 erkrankt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden muss, wird sie sofort isoliert. Von da an gibt es für die Angehörigen keine Möglichkeit mehr beim Patient zu sein, ihn zu besuchen. Bei Verschlimmerung der Erkrankung wir der Patient beatmet. Auch im Falle eines Todes ist es nicht erlaubt, sich von ihm zu verabschieden und ihn zu begleiten.

Bei dieser Krankheit  müssen Ärzte, Intensivpersonal und natürlich die Angehörigen selbst vor der COVID-19 erkrankten Person geschützt werden, um sich nicht selbst anzustecken, deshalb gelten überall Besuchsverbote. Eine ganz neue veränderte Situation – hier und überall auf der Welt. Es gelten neue Regeln und einen hohen Sicherheitsstandard für alle.

Als Folge der Krankheit kommt erschwerend hinzu: Auch nachdem der Patient verstorben ist, dürfen die Angehörige nicht mehr zu ihm. Nicht mehr berühren,  nicht mehr ansehen, nicht mehr “be-greifen”. Es gelten nach wie vor oberste Sicherheitsmaßnahmen – auch nach dem Tod.

Die Trauerfeier/Urnenbeisetzung kann nur im kleinen Rahmen stattfinden, wenn überhaupt gerade möglich. Und es bleibt eigentlich nur eins übrig- sich zu fügen zum Eigenschutz, aber auch zum Schutz aller anderen. Um das Virus einzudämmen.

Was tun, wenn Sie es sind, wenn Sie einen Angehörigen  durch COVID-19 verloren haben. Wenn genau Sie in dieser Situation sind. Und dies so erleben oder bereits so erleben mussten.

Was kann ich Ihnen mitgeben auf Ihrem Weg?

Das folgende Schreiben soll Sie auf Ihrem Weg begleiten und Sie ermutigen Hilfen anzunehmen und auch für sich selbst zu sorgen.

Liebe Angehörige,

zuerst möchte ich Ihnen auf diesem Wege mein tiefes Mitgefühl für Sie, ihre momentane Situation, ihren Schmerz und Ihre Trauer ausdrücken.

Ich kann mich sehr gut in Sie einfühlen, auch wenn Sie sich jetzt von nichts und niemanden verstanden fühlen.

Empfindungen wie

  • es ging alles so schnell
  • ich fühle mich hilflos
  • es kann doch alles nicht wahr sein

sind normale Reaktionen auf dieses unnormale Ereignis.

Oft bergreift man erst Tage oder Wochen später was eigentlich passiert ist, manchmal funktioniert man einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Genauso aber können sich Schock, Angst und Traurigkeit vermischen und man kennt sich selbst nicht wieder. Auch Wut und Verzweiflung können in dieser Zeit verstärkt zum Ausdruck kommen. Ihr Körper reagiert. Sie dürfen dies zulassen, denn alle Reaktionen und Gefühle die Sie jetzt nach diesem schlimmen Ereignis erleben sind normal. Es kann durchaus sein, dass diese Sie einige Wochen oder Monate begleiten werden.

Vielleicht müssen Sie gerade jetzt stark sein, für weitere Angehörige die ggf. auch erkrankt sind, oder vielleicht sind Sie selbst erkrankt und das belastet Sie zusätzlich.

Zudem gibt es nun viel zu tun, Sie müssen in kürzester Zeit wichtige Entscheidungen treffen:

  • Gibt es jemand der Sie dabei unterstützen kann?
  • Bekommen sie Hilfe aus dem Verwandten- und/ oder Bekanntenkreis?
  • Wenn es Ihnen angeboten wird, sei es nur den Einkauf zu übernehmen, für Sie zu kochen oder ähnliches nehmen Sie es an.
  • Nehmen Sie Hilfe an – Sie brauchen Ihre Kraft.

Was können Sie noch für sich tun?

Es ist ohnehin schwierig in dieser Zeit, in der alles ungewiss ist- keiner weiß wie es weiter geht, Ausgangssperre oder Kontaktverbot und dann noch dieser Verlust, dieses schmerzliche Ereignis.

Viele Unsicherheiten prallen auf einen ein. Wie kann man da tun was gut für einen ist und trotzdem ist es gerade jetzt wichtig:

  • Was denken Sie könnte Ihnen in Ihrer momentanen Situation helfen?
  • Haben Sie selbst eine Idee?
  • Fällt Ihnen spontan ein was Ihnen gut tun würde?
  • Was hat Ihnen bisher in schwierigeren Situationen und/oder Lebensabschnitte geholfen?
  • Wenn Ihnen etwas einfällt, dann tun Sie es wenn es möglich ist!

Wenn Sie das Bedürfnis haben, mit  Freunden oder Bekannten zu sprechen, dann telefonieren Sie. Vielleicht haben sie auch bereits einen guten Kontakt zu einem Seelsorger ihrer Kirchengemeinde.

Wenn Sie  lieber mit jemand sprechen möchten, den Sie nicht kennen, gibt es Angebote wie z.B. hier in der „Stiftung Katastrophennachsorge“ oder Einrichtungen in Ihrem Umkreis, die ein offenes Ohr für Sie, in ihrer Trauer und Ihrem Schmerz haben.

Da auch die Trauerfeier/Urnenbeisetzung anders verlaufen wird wie normalerweise, könnten Sie sich vielleicht auch zu Hause noch einen kleinen Platz für ihre Trauer gestalten.  Haben Sie vielleicht ein schönes Bild von Ihrem Angehörigen oder ein für Sie wichtiges Erinnerungsstück? Etwas, dass Sie an Ihren Angehörigen erinnert- etwas Schönes, womit Sie mit ihm oder ihr verbunden bleiben können. Sie könnten auch eine Kerze dazu stellen (es kann auch eine Batteriebetriebene sein), die Sie dann ebenfalls an der Stelle aufstellen.

Gibt es etwas was Sie ihm/ ihr noch sagen wollten, was offen ist zwischen Ihnen? Dann können Sie eine Kerze anzünden und mit ihrem lieben Angehörigen/ihrer lieben Angehörigen sprechen- reden Sie sich alles von der Seele, was Ihnen noch auf dem Herzen liegt. Ich bin fest davon überzeugt, Ihr Angehöriger/Ihre Angehörige hört Sie.

Leider gibt es nicht das „eine richtige Rezept“ für den Umgang mit der eigenen Trauer. Man muss selbst herausfinden was einem und wer einem gut tut, wem man sich anvertrauen möchte, wer einen unterstützen- und von wem man Hilfe an nehmen kann.

Ich wünsche Ihnen die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt an Ihrer Seite. Menschen, die Sie begleiten in ihrer Wut, ihrem Schmerz und ihrer Trauer.

Menschen die Ihnen helfen ein Gefühl für sich selbst zu entwickeln, um zu spüren und zu erkennen, was gut für Sie ist. Ich wünsche Ihnen viel Kraft in dieser schweren Zeit.

Unbekannterweise und doch in Gedanken bei Ihnen

Melanie Klinke-Moser