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Allgemein

Zuschrift eines Betroffenen

By 30. April 2021Mai 7th, 2021No Comments

Sehr geehrte Frau Jatzko,

ich habe Sie (und Ihren Kollegen Herrn Müller-Lange) bei dem Betroffenentreffen bezüglich des Anschlags am 09.10.2019 in Halle kennenlernen dürfen. Ich habe an diesem Treffen teilgenommen.

Da ja nun doch schon einige Zeit vergangen ist und mit ein bisschen Abstand von all dem, was dieser Anschlag bedingt hat, möchte ich mich nochmals von ganzem Herzen für diese Veranstaltung bedanken. Das Kennelernen anderer Betroffener und der Austausch mit diesen hat mir viel gebracht, um das Erlebte einzuordnen, zu verarbeiten und zu lernen, mit dem Geschehnen Frieden zu finden und eher nach vorne zu blicken.

Schon unmittelbar nach dem Anschlag konnte ich den Prozessauftakt und die Verurteilung des Attetäters kaum erwarten. Es war wie eine Art Ziel, welches ich erreichen musste, um abschließen zu können und um mir sicher zu sein, dass der Anschlag nun wirklich vorbei ist. Es war eine ungewöhnliche Beruhigung, dass der Attentäter mit  der von mir erwarteten Härte verurteilt worden ist. Da nun auch aus prozessualer Sicht ein Schlussstrich gezogen werden konnte, fällt es mir verhältnismäßig leicht, das Erlebte hinter mir zu lassen.

Ich habe zwischenzeitlich viel über meine Erfahrungen geredet – auch öffentlich. MDR Sputnik hat mir zum ersten Jahrestag des Attentats eine Plattform gegeben, bei der ich meine ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Erlebnis teilen durfte. Auch im Rahmen eines Podcasts durfte ich mit einer jungen Journalistin sprechen. Diese Mischung aus zeitlich immer größer werdenden Distanz und der konstat bleibenden Betroffenheit bleibt jedoch sehr interessant.

Ich denke nicht mehr jeden Tag über den 09.10.2019 und seine Folgen nach. Wenn ich es jedoch tue (und manchmal lasse ich das ganz bewusst zu), dann sind die Gefühle immernoch wahnsinnig heftig und ziehen mich ziemlich stark runter. Ich hoffe, das ist bei einem so schrecklichen Erlebnis normal. Es ist aber auch schön mitzuerleben, wie sich das Leben im Paulusviertel wieder in eine neue Realität zurückfindet – die ganze Pandemie mal ausgeblendet. Ich freue mich, dass ich das Team vom Kiez Döner nicht als Nachbarn verloren habe und ich bewundere ihre Kraft und ihren Mut. Sie haben den Laden ja umgestaltet (und tun dies gerade wieder) und haben einen starken Raum der Solidarität und des Respekts erschaffen.

Ich möchte mich an dieser Stelle nochmal ganz ausdrücklich bei Ihnen und Herrn Müller-Lange bedanken. Sie leisten tolle Arbeit.

Ich hoffe, Sie kommen gut und gesund durch diese komische Zeit.

Beste Grüße aus einem sehr sonnigen Halle an der Saale!